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Alter Wein und junge Weiber

Alter Wein und junge Weiber

Liebe Freundinnen und Freunde des guten Geschmacks!
 
„Alter Wein und junge Weiber sind die besten Zeitvertreiber”, so heißt es in einem alten Reim. Was das Femininum angeht, kann ich, und sicherlich auch die überwiegende Anzahl unserer männlichen Weinfreunde dieses nur bestätigen.
Beim Wein wird die ganze Sache jedoch erheblich komplizierter und sicherlich teilen sich hier auch die Meinungen. Der gute Geschmack ist nun mal ein individuelles Empfinden und nicht objektiv messbar. Aber dennoch durchlaufen Weine im Laufe ihres Lebens verschiedene Entwicklungsphasen. Sie verlaufen in Abhängigkeit von Boden, Lage, Rebsorte, Klima, der Erntetechnik, und Behandlung von Maische, Most und Wein, der Weinart (Rot o. Weiß), innere Wertigkeit und Zusammen-setzung, Ausbau und Lagerbedingungen sehr unter-schiedlich verlaufen und in ihrem chronologischen Ablauf sehr stark differieren. „Alter Wein“ ist immer eine individuelle Bezeichnung und muss mit dem jeweiligen Tropfen in Verbindung gebracht werden. Weine können nach zwei Jahren schon alt schmecken, aber auch nach 10 Jahren immer noch jugendlich frisch wirken.
 
Bei der Alterung von Weinen laufen vielfältige, teilweise noch unbekannte, komplizierte chemische Prozesse ab. Große Bedeutung kommt vor allem der Oxidation, d. h. der Aufnahme von Sauerstoff durch phenolische Substanzen (Flavonoide), der Abnahme freier schwefliger Säure, dem Verlust von Kohlensäure und der Freisetzung von Aromastoffen zu. Hierbei ergeben sich zwischen Rot- und Weißweinen große Unterschiede.

Der Gehalt an Phenolverbindungen liegt in Rotweinen zwischen 500 und 4000 mg/l. In Weißweinen schwankt der Wert zwischen 150 und 400 mg/l. In rotem Wein liegen demnach 10-mal mehr Flavonoide als alterungsfähige Substanzen vor. Diese enorme Konzentrationsdifferenz rührt aus der vollends verschiedenen Trauben-, bzw. Maischeverarbeitung, auf die ich hier leider nicht weiter eingehen kann. Flavonoide sind einerseits verantwortlich für Körper und Fülle, andererseits aber auch für Bitterkeit und Adstringens. Sensorisch ergeben sich hieraus deutliche Unterschiede zwischen Rot- und Weißwein hinsichtlich ihres Alterungspotentials.

Phenole schmecken, solange sie noch als einzelne Moleküle im Wein vorliegen, neutral. Stellen aber eine Vorstufe für bitter schmeckenden Gerbstoff dar. Durch Oxidation in Form von Sauerstoffzufuhr bilden sich aus einzelnen Gerbstoffmolekülen kurze Ketten die, bei einer Länge von ca. 15 Gliedern bitter schmecken. Damit geht zunächst eine Verstärkung des bitteren, galligen Geschmacks einher. Mit zunehmender Oxidation, bzw. Kettenwachstum bilden sich langkettige Molekülverbände, die für den vollen, samtigen und runden Geschmack reifer & hochwertiger Rotweine verantwortlich sind. Im Weißwein stagniert das Kettenwachstum mangels Phenolkonzentration im Kurzkettenstadium.

Die gesamte chemische Zusammensetzung der Weine schwankt innerhalb breiter Grenzen. Grundlegend wird diese durch Klima, Boden, Lage, Rebsorte, Art und Behandlung von Most und Wein beeinflusst. Für eine einwandfreie Beurteilung von Sortencharakter und Weinqualität kommt den einzelnen Stoffinhaltgruppen wie Säuren, Zucker, Aminosäuren und Aromastoffen eine sehr unter-schiedliche Bedeutung zu. Zweifelsohne spielen die Aromastoffe, entsprechend ihrer ausgeprägten Wirkung auf die Sinnesorgane, die entscheidende Rolle.
Der Grund für den positiven Alterungsverlauf bei hohen Qualitäten liegt vermutlich in ihrem enormen Fundus glycosidisch gebundener, und somit sensorisch inaktiver(!) Aromastoffe (Terpene). Glycosidisch gebundenes Terpen bedeutet, dass ein entsprechendes Terpenmolekül in einer hier glycosidischen Bindung genannten Etherbindung an einem Zuckermolekül haftet und infolgedessen sensorisch unwirksam ist. Glycosidisch gebundene Terpene bilden somit ein Bukettreservoir. Hier ist Wein aus vollreifen Beeren dem aus weniger reifen Lesegut sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht weit überlegen. Die sensorisch wirksame Freisetzung dieser Aromastoffe durch Spaltung der glycosidischen Bindung im Laufe der Lagerung geschieht durch traubeneigene Enzyme. Hier spielen die Lagertemperatur und Dauer, sowie der pH-Wert eine wichtige Rolle. Einige Kollegen versuchen diesen Effekt mehr schlecht als recht durch Zugabe von industriellen Enzympräparaten zu beeinflussen.
 
Dementsprechend zeigen hochwertige Weine oft erst nach einer gewissen Lagerzeit ihr wahres Potential, welche in Anbetracht der Komplexität des Alterungsprozesses sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Einfache Weine hingegen präsentieren sich meist jung und frisch am besten, sie bieten in den ersten Jahren den größten Genuss.
Unterstellt man, dass die Lagerbedingungen einigermaßen   einheitlich sind -optimal konstant 13°C- lassen sich unter Berücksichtigung des gerade Gelernten, für meinen Wein stark vereinfacht drei Entwicklungstypen konstatieren:

Abb: Alterungskurve von Wein, stark vereinfacht


Typ 1:
Einfache Weine bis ca. 80°Oe entsprechend unserem Preis-niveau bis 9,50€.
Diese Weine erreichen ihren Höhepunkt nach ca. 2-3 Jahren, bleiben weitere 2-4 Jahre auf diesem Niveau und bauen danach meist relativ schnell ab.

Typ 2:
Unsere mittleren bis hohe Qualitäten von 80-100° Oe. entsprechend unserem Preis-niveau 14,50€ - 42,50€.
Diese Weine entwickeln sich oft in einer Kurvenbewegung. In den ersten 2 Jahren durchlaufen diese Weine eine rasante Aufwärtsbewegung und erreichen eine Art Zwischenhoch. Danach geraten solche Weine nicht selten in eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Entwicklungskrise. Während dieser 6 manchmal 12 Monate andauernden pubertären-Phase probieren sich die betroffenen Weine schlechter als in der Zeit zuvor! Hier sollte man abwarten und „Tee trinken”, was natürlich nicht wörtlich zu nehmen ist. Danach entfalten sich solche Weine erfreulich weiter und sind nach 6-8 Jahren „on the Top”. Bleiben dort für weitere 3-4 Jahre und bauen anschließend langsam ab.

Typ 3:
Unsere großen Weine ab 100°Oe (Eiswein, Beeren- und Trockenbeerenauslesen) unterliegen in den ersten 6-10 Jahren einer beständigen, manchmal graduell steigenden positiven Reifeentwicklung. Solche Weine halten für weitere 10-60(!) Jahre dieses sehr hohe Niveau und bauen im Anschluss daran, -zumindest sensorisch-, ganz langsam ab.
Von der individuellen Wertschätzung, den Gefühlen und den Erinnerungen, die oft nach dieser Zeit an solchen Weinen haften, will ich hier nicht reden. Diese Dinge machen aus einem solchen Wein eine wertvolle, unbezahlbare Rarität.
Hat man solche Raritäten im Keller, sollte der Korken regelmäßig auf Unversehrtheit geprüft und eventuell ersetzt werden. Haben Sie diesbezüglich eine Entdeckung gemacht, sprechen Sie mich bitte an.

Ein beziffertes Alter sagt demnach wenig über den aktuellen Reifegrad eines Weines aus. Er hängt von vielen, teils unbekannten Faktoren, ab. Eine seriöse Prognose des Alterungspotentials ist nur möglich, wenn man all diese Fakten kennt. Und das sind neben dem Winzer meist nur sehr wenige Menschen!

Ihr Joachim Schumacher

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